England: Reform gescheitert

„Dentists overcharging" (Zahnärzte berechnen zu viel): Diese Schlagzeile war im Dezember in so gut wie allen englischen Zeitungen zu lesen. Die konservative Partei des Landes deckte einen Skandal auf: Die Patienten würden zu oft zur Kontrolle gerufen oder die Behandlung absichtlich auf mehrere Sitzungen verteilt, um so mehr Geld verlangen zu können. 109 Mio. britische Pfund (ca. 115 Mio. Euro) hätten die Zahnärzte jährlich zu viel von ihren Patienten verlangt, fast ein Viertel des Betrags, der insgesamt in Großbritannien für Zahnbehandlung ausgegeben wird.

Gemeint sind aber nicht alle Zahnärzte, sondern jene, die für das staatliche Gesundheitssystem NHS (National Health Service) arbeiten. Und obwohl die Schlagzeilen die Schuld den Zahnärzten zuweisen, herrscht in den Artikeln ein anderer Ton. Der „botched" (verpfuschte) Vertrag zwischen dem NHS und den Zahnärzten wäre die Ursache - und damit jene Reform des Gesundheitssystems, die die regierende Labourpartei durchgesetzt hat.

Bezahlungssystem vereinfacht
Das System funktioniert so: Zahnärzte sind grundsätzlich freiberuflich tätig. Sie schließen mit den lokalen Gesundheitsbehörden, den Primary Care Trusts (PCT), Verträge ab, in denen sie sich verpflichten, innerhalb einer gewissen Zeitspanne eine gewisse Anzahl an Einheiten zahnärztlicher Tätigkeit (units of dental activity, UDAs) für das NHS zu verrichten. Pro UDA erhalten sie - je nach PCT - etwa 15 bis 25 GBP. Die Leistungen sind dabei in Gruppen eingeteilt. Eine Füllung etwa bringt drei UDAs. Der Haken an der Sache: Bezahlt wird pro Patient und Behandlung (innerhalb des definierten Zeitraums). Es spielt keine Rolle, ob dabei eine einflächige Füllung gemacht wird oder zehn mehrflächige, der Arzt erhält immer nur drei UDAs angerechnet.

Die Folgen einer solchen Berechnung hätte sich auch ein Zimmermann an seinen Fingern abzählen können. Entweder der Zahnarzt macht alle notwendigen Füllungen auf einmal und zahlt kräftig drauf, oder er verschiebt die zweite Füllung auf die nächste Abrechnungsperiode und die dritte auf die übernächste. Damit ist klar, was hinter den oben genannten Vorwürfen steckt. Für den Patienten aber bedeutet das auch, dass er seinen Teil der Rechnung zwei oder drei Mal bezahlen muss. Ganz abgesehen davon, dass er in der Zwischenzeit mit unbehandelten Zähnen lebt.

Dazu kommt, dass kompliziertere Behandlungen relativ schlechter bezahlt werden als einfachere. Der Plan dahinter war, Patienten wie Zahnärzte zur Vorsorge zu bewegen. Der Effekt allerdings war, dass die Zahl der komplizierteren Behandlungen sank, während die Zahl der Zahnextraktionen zunahm.

Selten oder häufig?
Eine weitere Folge der neuen Verträge: Natürlich wollen viele Zahnärzte diesen Weg nicht gehen. Schon bei der Einführung im Jahr 2006 unterschrieb ein gutes Drittel der Zahnärzte die Verträge nur unter Vorbehalt mit der Option, später auszusteigen, etwa zehn Prozent gar nicht. „NHS dentists have become scarcer than hen's teeth" (NHS Zahnärzte sind seltener als Eisbären in der Sahara), titelte die Tageszeitung „Daily Telegraph" am 18. Dezember 2008. In den Leserkommentaren wird wiederum bestritten, dass es Probleme beim Finden eines Zahnarztes mit NHS-Vertrag gebe.

Die Lösung des Rätsels
Wie anderswo auch konzentrieren sich die Zahnärzte in den dicht besiedelten und wohlhabenderen Gebieten. Die ärmeren Randzonen des Landes sind unterversorgt. Nun zahlen die PCTs in jenen Gegenden teilweise tatsächlich besser als die in den reichen Städten des Südens. Das war Teil des Reformplans, der nicht nur klare und einfache Bezahlungsstrukturen einführen, sondern auch die Versorgung verbessern sollte. Allerdings nutzt die bessere Bezahlung pro UDA dem Zahnarzt nur dann, wenn er eben das System „optimal nutzt" und sich nicht seinerseits von den PCTs ausnutzen lässt. Nun wird erneut evaluiert und die Reform vermutlich reformiert.

Livia Rohrmoser

„NHS dentists have become scarcer than hen's teeth": http://www.telegraph.co.uk/comment/columnists/andrewpierce/3835569/NHS-dentists-have-become-scarcer-than-hens-teeth.html

Q&A: Dental reforms: http://news.bbc.co.uk/2/hi/health/7485012.stm

Erklärung der UDAs: http://www.dentistry.bham.ac.uk/ecourse/pages/page.asp?pid=1375