Genetik und Parodontitis – Teil 2: Syndrome mit Auswirkungen auf die Mundgesundheit

Neben den im ersten Teil diskutierten Polymorphismen in Genen, welche für die Immunabwehr und die Integrität der oralen Mukosa kodieren, sind eine Reihe von Erbkrankheiten in unterschiedlichem Ausmaß mit aggressiven oralen und parodontalen Erkrankungen assoziiert.

Derartige Krankheitsbilder sind glücklicherweise nicht allzu häufig, führen aber, da meist mehrere Organe involviert sind, zu oft schweren gesundheitlichen Einschränkungen und Problemen. Pathologische Veränderungen oraler Gewebe sind häufig Teil dieser Symptomkomplexe, weshalb die zahnärztliche Diagnostik und Intervention ein wichtiger Bestandteil des Gesamttherapiekonzepts ist. Besondere Aufmerksamkeit erfordern in diesem Zusammenhang kindliche und präpubertäre Formen einer Parodontitis. Nicht selten sind orale Probleme ein erstes Anzeichen und Frühsymptom einer genetischen Syndromerkrankung. Dem Zahnarzt kommt hier eine zentrale Rolle bei der Erstdetektion möglicher charakteristischer Läsionen zu. Derartige Vermutungsdiagnosen erfordern selbstverständlich weitere Abklärung und in der Folge interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine rasche Einleitung adäquater Therapien. Kindliche aggressive Entzündungen des Zahnhalteapparats mit frühzeitigem Verlust der Milchzähne sind Alarmzeichen. Nicht selten sind genetische Defekte des Immunsystems die Ursache für derart fulminante Krankheitsverläufe. Besonders Defizite im zellulären Teil der angeborenen Abwehr, wie im Monozyten/Makrophagensystem und den neutrophilen Granulozyten begünstigen die frühzeitige Genese einer Parodontitis. Die phagozytierenden Immunzellen bilden die erste und effektivste Abwehrfront gegen pathogene Mikroorganismen im oralen Mikrobiom. Abnorme Reaktionen, wie gestörte Chemotaxis oder Unfähigkeit zur Phagozytose mikrobieller Antigene führen zu ungehemmter Teilung und Aktivität virulenter Erreger. Hier sollen die wichtigsten in Frage kommenden Störungen kurz definiert werden.

Genetische Abberationen von Leukozyten

Das Lazy Leucocyte Syndrom ist ein monogen verursachter Defekt der segmentkernigen Granulozyten. Er führt, vermutlich durch eine Dysfunktion des Aktin-Zytoskeletts der Zellen, zu verminderter Motilität und Migrationsfähigkeit bei gleichzeitig stark eingeschränktem Respons auf chemische und inflammatorische Stimulation. Zwar findet man im Knochenmark der betroffenen Patienten morphologisch regelhaft ausgebildete und ausreifende Granulozyten, die Zahl der peripheren Segmentkernigen ist hingegen reduziert. Die Krankheit manifestiert sich bereits im frühen Kindesalter durch allgemein erhöhte Infektionsanfälligkeit, sowie schwere, rekurrierende orale Infektionen mit Candida albicans, Pseudomonas sp. und Staphylococcus aureus. Es kommt zu massiven Inflammationen, nicht selten auch zu mukosalen Ulzera und durch Einschwemmung oraler Keime in periphere Blut, zu Bakteriämie. Durch die eingeschränkte Abwehr werden die Erreger nicht rechtzeitig eliminiert und können schwere Schäden an den peripheren Organen bis hin zur Sepsis verursachen. Beim autosomal rezessiv vererbten LADS (Leucocyte Adhesion Deficiency Syndrom) handelt es sich um einen Defekt der Rezeptormoleküle für die Zelloberflächenadhäsion der Neutrophilen. LADS ist eine mit gravierenden Folgen für die Gesamtgesundheit einhergehende Krankheit, deren Behandlung nicht im Aufgabenbereich des Zahnarztes liegt. Wegen seiner fulminanten oralen Auswirkungen soll es hier aber der Vollständigkeit halber kurz definiert werden. Es sind drei Varianten (LADS I, II, III) der Krankheit bekannt. Durch eine nur geringfügige Veränderung von Proteinen des Integrin- oder des Selektinsystems kommt es zu einer insuffizienten Haftung der Leukozyten am Endothel der Blutgefäße und damit zu keiner ausreichenden Einwanderung der Abwehrzellen in das entzündete Gewebe. Bei der für die Erkrankung typischen, früh auftretenden hochaggressiven Parodontitis können Bakterien nahezu ungehindert in tiefe Gewebsschichten und in Blutgefäße gelangen und danach systemische Infektionen verursachen. Bei entsprechender Keimbelastung ist deshalb frühzeitige Antibiose und antimykotische Begleittherapie dringend erforderlich.

Mangel an reifen Granulozyten verhindert effektive Keimabwehr

Zu den häufigsten vererbten Funktionsstörungen der Granulozyten gehört die infantile genetische Agranulozytose, auch Kostmann-Syndrom genannt. Über einen autosomal rezessiven X-chromosomal übertragenen Defekt im Gen der neutrophilen Elastase und des nukleären Zink- Fingerproteins GF/1 stoppt die Ausreifung der segmentkernigen Granulozyten im Knochenmark auf der Stufe der Promyelozyten und frühen Myelozyten. Diese Störung der Myelopoese führt zu einer Reduktion der Segmentkernigen im peripheren Blut auf unter 200/μl. Es besteht die Gefahr schwerer bakterieller und fungaler Infektionen. Typische Manifestation dieser Erbkrankheit sind erosive Zahnfleischentzündungen mit ausgeprägten Schleimhautulzerationen am Alveolarkamm und am harten Gaumen bereits in der frühen Kindheit und in der Folge aggressiv verlaufende Parodontopathien. Aus zahnärztlicher Sicht sind besonders atypische Besiedlungen der Zahnfleischtaschen durch koagulasepositive Staphylokokken und Klebsiellaspezies ein Problem, da für die Eradikation dieser Keime die zelluläre Immunreaktion unbedingt erforderlich ist. Parodontale Läsionen sind gefährliche Streuherde, welche durch die insuffiziente Abwehr leicht zu Ausgangspunkten einer lebensbedrohenden Sepsis werden können. Die Therapie der Erkrankung besteht in frühzeitiger, lebenslanger Substitution von GCSF (Granulozyten-Wachstumsfaktor), in schweren Fällen Knochenmarkstransplantation. Auftretende Infekte müssen sofort antibiotisch behandelt werden.

Entzündliche Destruktion parodontaler Gewebe bei Neutropenien

Weniger dramatisch im Verlauf, aber trotzdem mit erhöhter Gefahr oraler Entzündungen und parodontalem Gewebeabbau einhergehend sind hereditäre und zyklische Neutropenien. Beide werden autosomal dominant vererbt. Bei ersterer sind die neutrophilen Granulozyten im Blut durchgehend niedrig, beim zyklischen Typ kommt es zu periodischen Schwankungen der Anzahl dieser weißen Blutkörperchen mit einem in etwa dreiwöchigem Rhythmus auftretenden, ca. 10 Tage lang anhaltenden Absinken der Zahl der Neutrophilen unter 500/μl. Der Gendefekt verursacht eine vorzeitige Apoptose der Progenitorzellen. In den Phasen der Neutropenie ist die Abwehrfront der neutrophilen Granulozyten zu schwach um ein pathologisch verändertes orales Mikrobiom wirksam zu bekämpfen. Dies führt zu akuten Exazerbationen gingivaler und parodontaler Entzündungen mit zwar kurzfristigen aber rezidivierenden Angriffen auf Hart- und Weichgewebe des Zahnhalteapparats. Betroffene Personen sind in jedem Fall als zahnmedizinische Risikopatienten zu behandeln. Engmaschige Recalls, regelmäßige professionelle Mundhygiene, Kontrolle des mikrobiellen Status mit gezielt antibiotisch unterstützter Intervention sind Voraussetzung zur Erhaltung der Mundgesundheit.

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at