Ein Fallbeispiel mit der „Locatelli“-Mechanik: Die Behandlung unterminierender Resorptionen in der Kieferorthopädie

Die physiologische Wurzelresorption ist ein essenzieller Bestandteil des Zahnwechsels. In einigen Fällen tritt jedoch eine pathologische, unterminierende Resorption auf. Insbesondere bei den Sechsjahresmolaren des Oberkiefers kommt es am häufigsten zu diesem Problem.

Die Prävalenz dieses ektopischen Durchbruchs des maxillären Molaren liegt bei etwa 2-6% (1). Die Ätiologie ist multifaktoriell, wobei die genaue Ursache nicht bekannt ist (1,2). In etwa 70% der Fälle kommt es zu einer spontanen Selbstkorrektur, bei 30% bleibt der Molar weiterhin in der falschen Durchbruchsposition (1,3). Als Folge der verfrühten Resorption der Wurzel des Milchmolaren durch die Sechsjahrmolaren kann es zum frühzeitigen Verlust des Milchzahnes und folglich zu einer Mesialwanderung der Molaren und einem Platzmangel für die bleibenden Prämolaren kommen. Aus diesem Grund sind eine Früherkennung und Frühbehandlung dieses pathologischen Eruptionsweges wichtig.

Diagnostik

Die Diagnostik der unterminierenden Resorption erfolgt dabei zumeist im Panoramaröntgen, kann aber auch unterstützend mit Bissflügelaufnahmen oder in speziellen klinischen Fällen mit einer dreidimensionalen digitalen Volumentomographie (DVT) diagnostiziert werden. Klinisch sind diese Resorptionen asymptomatisch und gehen ggf. mit einer leichten Lockerung des betreffenden Milchzahns einher.

Therapie

Die Therapie dieses pathologischen Zahndurchbruchs kann auf verschiedene Weise erfolgen. Neben einer engmaschigen Beobachtung bei initialen unterminierenden Resorptionen kann bei bereits fortgeschrittenen Resorptionen auch eine approximale Schmelzreduktion oder die Separation mit Separiergummis oder Drahtligaturen durchgeführt werden. Alternativ kann auch eine aktive Distalisierung mit einem Pendulum, einer Haltermann-Apparatur oder einer Teilmultiband-Bracket-Apparatur erwogen werden (4). Eine Variante der zuletzt genannten Teilmultiband-Bracket-Apparatur mit einer nach distal aktivierten Mechanik wurde 1992 von Locatelli et al. als sogenanntes „Loca-System“ beschrieben (5). Ziel dieses Systems ist die Platzgewinnung im Zahnbogen, durch die Verwendung eines längeren Bogens als die eigentliche Interbracketdistanz. Dabei wird eine Schlaufe zwischen dem fälschlich anresorbierten Milchzahn und dem bleibenden Molaren im Nickel-Titan-Bogen (NiTi) aktiviert und mit Hilfe von Stopps fixiert. Durch die physikalischen Rückstellungseigenschaften des NiTi-Bogens kehrt der Bogen wieder in seine Ursprungsform zurück, was auch Formgedächtniseffekt genannt wird. Durch die Aktivierung des Drahtes wird anschließend eine kontinuierliche niedrige Kraftabgabe ermöglicht (5). Für die zuletzt genannten Variante hat man sich auch im nachfolgenden Fallbeispiel entschieden.

Fallbeispiel

Der Patient wurde im Alter von 9 Jahren auf die Abteilung für Kieferorthopädie der Zahnklinik der SFU überwiesen. Im Panoramaröntgen zeigte sich eine unterminierende Resorption an 65 durch 26 (Abbildung 1) und klinisch ein Kreuzbiss im 2. Quadranten (Abbildung 2-3). Daraus ergibt sich ein Index of Orthodontic Treatment Need (IOTN) Grad 4c mit folgenden Indikationen für eine interzeptive Behandlung: dem einseitigen lateralen Kreuzbiss und der unterminierenden Resorption von Milchzähnen durch Sechsjahrmolaren, Abb. 1.

Abbildung 2 zeigt die Ausgangssituation am Modell mit sichtbarer unterminierender Resorption an 65 und Kreuzbiss im zweiten Quadranten.

Aufgrund der klinischen und radiologischen Befunde entstand folgender Behandlungsplan:
1. Bekleben von selbstlegierenden Brackets mit 022´ Slot auf 64, 65, 26 mit einem 0,016“ NiTi Bogen und Locatelli
2. Verlaufskontrolle bis zur Auflösung der unterminierenden Resorption
3. Ex 65, Scan und Versorgung mit Tiefziehfolie inklusive Gaumen zur Oberkiefer Molaren Retention
4. Transversale Gaumennahterweiterung durch zahngetragene Hyraxapparatur mit Gesamterweiterung von 5,5mm
Nach dem Bonding der Brackets an den Zähnen 64, 65, und 26 wurde ein 0,016“ NiTi Bogen vorerst ohne Locatelli Aktivierung eingesetzt (Abbildung 4).

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Nach vier Wochen wurde der Patient erneut vorstellig und der Bogen mit einer Schlaufe nach Locatelli nachaktiviert. Wie in Abbildung 5 zu sehen, wurde der Bogen mit Kompositstopps komprimiert. Alternativ können hierfür auch Metallstopps auf den Bogen geklemmt werden. Die genaue Mechanik ist auch am Modell in Abbildung 6 zu sehen.

Nach weiteren 6 Wochen wurde das System nochmals nachaktiviert und diesmal mit Hilfe von Metallstopps fixiert. Der Zahn 26 war zu diesem Zeitpunkt bereits etwas distalisiert (Abbildung 7).
Acht Wochen später kam der Patient erneut zur Verlaufskontrolle und es zeigte sich folgendes klinisches Bild: Zahn 26 wurde nun ausreichend nach distal bewegt (Abbildung 8 und die Abschlussmodelle Abbildung 9). Im Panoramaröntgen (Abbildung 10) des zweiten Quadranten zeigt sich radiologisch die Auflösung des sekundären Engstands und eine deutliche Wurzelresorption an den Zähnen 64 und 65. Durch die erkennbare Auflösung des sekundären Engstands wird die Apparatur nun entfernt und die Behandlung des Kreuzbisses mit Hilfe einer zahngetragenen Hyraxapparatur fortgesetzt.

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Quellen:
1.
Barberia-Leache E, Suarez-Clúa MC, Saavedra-Ontiveros D. Ectopic Eruption of the Maxillary First Permanent Molar: Characteristics and Occurrence in Growing Children. Angle Orthod. 1. Juli 2005;75(4):610–5
2.
Salbach A, Schremmer B, Grabowski R, Stahl de Castrillon F. Correlation between the frequency of eruption disorders for first permanent molars and the occurrence of malocclusions in early mixed dentition. J Orofac Orthop Fortschritte Kieferorthopädie OrganOfficial J Dtsch Ges thopädie. August 2012;73(4):298–306
3.
Campbell OA. Ectopic eruption of the first permanent molar. J N J Dent Assoc. 1991;62(1):62–5
4.
Schmid CU, Kahl-Nieke B. Therapiemöglichkeiten bei unterminierender Resorption Ein Übersichtsartikel. | EBSCOhost [Internet]. Bd. 33. 2019 [zitiert 18. April 2025]. S. 251. Verfügbar unter: https://openurl.ebsco.com/content-item/gcd:138625534? sid=ebsco:plink:
crawler&id=ebsco:gcd:138625534
5.
Locatelli R, Bednar J, Dietz VS, Gianelly AA. Molar distalization with superelastic NiTi wire. J Clin Orthod JCO. Mai 1992;26(5):277–9


Dr. med. dent. Vanessa Faber

Email: vanessa.faber@med.sfu.ac.at
Abteilung für Kieferorthopädie der Zahnklinik

der Sigmund Freud Privatuniversität,
Freudplatz 3, 1020 Wien